Pressemitteilungen

Neue Ausstellung im Suermondt-Ludwig-Museum Aachen

Tim Berresheim.
Ort. Zeit. Kontinuum.
25.06.2025 – 01.02.2026
www.suermondt-ludwig-museum.de

 

Die Installation „Ort. Zeit. Kontinuum“

„Ort. Zeit. Kontinuum.“ So heißt Tim Berresheims erste monumentale 360°-Grad-Wandarbeit, die er eigens für das Suermondt-Ludwig-Museum erstellt hat und die hier bis zum 1. Februar 2026 zu sehen ist.

Durch die 3D-Brille betrachtet, entfaltet sich ein plastisches Panorama der Aachener Stadthistorie, gespickt mit Anspielungen auf die Kunstgeschichte und auf Persönliches. Da sind der Dom zu sehen, das Grashaus, die antikisierende Fassade des Theaters. Michelangelos göttlicher Fingerzeig aus der Schöpfungsgeschichte der Sixtinischen Kapelle, der den erwartungsvollen Adam zum Leben erweckt, ist als Höllensturz interpretiert: Die Hand Gottes trifft hier auf einen gefallenen Engel. Passenderweise ist sie böse tätowiert.

Ein herausragendes Motiv des Wandbildes ist die mythologische Skulptur ‚Apoll und Daphne‘ des italienischen Bildhauers Filippo Parodi (1630-1702), ein Werk aus der Sammlung des Suermondt-Ludwig-Museums. Die Skulptur ist eine so genannte figura serpentinata, eine Plastik, um die Betrachtende herumlaufen und so das Kunstwerk in Gänze erfassen können. Bildhauer*innen seit der Renaissance wollten mit dieser „Allansichtigkeit“ ihre Überlegenheit gegenüber der zweidimensionalen Malerei demonstrieren. Berresheims immersive Skulptur vereinigt die Vorteile von Skulptur und Bild: Obwohl auf den ersten Blick „Flachware“, kann man sie, durch die 3D-Brille betrachtet, komplett umlaufen.

Die digitalen Daten für das Motiv stammen von Schüler*innen des College vhs Aachen. Sie haben die Skulptur im Rahmen des Projektes „Aus alter Wurzel neue Kraft“ (Näheres dazu siehe unten) als Ausgangspunkt ihrer kreativen Arbeit ausgewählt und sie im Zuge dessen eingescannt.

Neben dem Scan der Skulptur sind auch andere Ergebnisse des Projektes „Aus alter Wurzel neue Kraft“ in das Wandbild eingeflossen, zum Beispiel zahllose Blätter mit Zeichnungen von Kindern der Grundschule am Fischmarkt, die geclustered durch die Szenerie flattern. Die Zeichnungen sind Ausdruck der Auseinandersetzung der Kinder mit der städtischen Umgebung, in der sie sich täglich aufhalten. Im Zuge dessen entwickelte sich auch die Comicfigur Bibbes, das Streuselbrötchen, ein (Er-)Zeugnis der kulinarischen Tradition Aachens.

Stammgast der Steffens-Schänke

In die Wandarbeit sind zwei eigenständige Bilder integriert. Eines zeigt das Interieur der Steffens-Schänke, einer Aachener Gaststätte am gleichnamigen Platz, die heute nicht mehr existiert. Offenbar zum Bedauern des Künstlers, der sich als Körper gewordene Datenmenge gleich mehrfach ins Bild integriert hat und damit auch nach dem Verschwinden der Kneipe Stammgast bleibt.

„Luogo o spazio?“ zeigt Relikte von Architekturmodellen der Aachener Baugeschichte, dekonstruktivistisch gestapelt, in rostig-fleckiger Farbgebung. Eine dystopisch wirkende Ruinenlandschaft als Vanitasbild, das an die Vergänglichkeit erinnert und so gar nichts von der lieblichen Wirkung barocker Ideallandschaften mit Säulenresten und anderen Versatzstücken aus der Antike entfaltet, in deren Tradition diese Arbeit steht.

Geschichte – eine ständige Metamorphose

Tim Berresheims Installation ist ein mäandernder Gang durch die Geschichte. Wie ein Archäologe gräbt er sich durch Schichten der Geschichte, sammelt Fundstücke ein, kartiert sie, setzt sie neu zusammen, kontextualisiert sie, erzählt seine eigene Geschichte. Dabei zeigt er en passant, was Geschichte ist: eine ständige Metamorphose, eine riesige Menge an vielfältigsten Daten in Zeit und Raum, deren Erzählung eine Frage der Deutungshoheit ist. Und dass man sich auch als Schulkind einen Teil dieser Deutungshoheit erobern kann: mit einem eigenen Kommentar zu seiner eigenen Entdeckung – und mit dem künstlerischen Mittel seiner Wahl.

Nicht von ungefähr sind in der Installation alle möglichen künstlerischen Ausdrucksformen, Materialien und Digitaldaten miteinander verwoben und gleich gültig im Bildraum versammelt: Architekturmodell, Kinderzeichnungen, Tattoos, Kleinplastik, Großskulptur, Comicfigur, Tuch und Tapete, Papier und Pappmaché, haptisch und immateriell. Hier ist eine Skulptur nicht bedeutender als ein Tattoo. Hier ist ein Edelgehölz nicht wertiger als Pappmaché.

Metamorphose allüberall. Nur ein kleiner Axolotl trotzt dem scheinbar unausweichlichen Gang der Geschichte. Das seltsame Wesen aus der Unterwelt gehört zu den wenigen Amphibien, die keine Metamorphose durchlaufen und ihr gesamtes Leben als Kiemenatmer im Wasser verbringen. So viel Eigensinn muss sein.

Dies ist die zweite Ausstellung im Suermondt-Ludwig-Museum, in der zeitgenössische Künstler*Innen in direkten Dialog mit der Sammlung treten. Wie schon bei der 2024 veranstalteten Schau des Düsseldorfer Malers Volker Hermes, der mit seinen Werken auf Bildnisse der Sammlung reagierte, will das Museum auch mit den Arbeiten von Tim Berresheim Bekanntes mit Unbekanntem verknüpfen und den Besuchenden so substantiell neue Seh- und Kunsterfahrungen ermöglichen, welche den jeweiligen Erwartungs- und Kenntnishorizont übersteigen und das Museum als stets aktuellen Erlebnis- und Lernort in Erinnerung ruft.

Kuratorin:

Sarvenaz Ayooghi

 

Wandtexte in der Ausstellung:

Genesis

Tim Berresheim (*1975) lebt und arbeitet in Aachen. Seit über 20 Jahren gilt er als Pionier der computerunterstützten bildenden Kunst. In der eigens für diesen Raum erstellten Wandarbeit verarbeitet er Materialien, die im Rahmen seines Projektes „Aus alter Wurzel neue Kraft“ entstanden sind.

Der Schöpfungsgeschichte wird eine besondere Rolle zuteil, hier vertreten durch Adam. Die Verbundenheit zur Kunstgeschichte macht Berresheim mit dem Rückgriff auf eines der berühmtesten Motive in der Kunst deutlich: Michelangelos „Erschaffung Adams“. Das Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle zeigt Szenen der Schöpfungsgeschichte aus dem Buch Genesis. Indem Berresheim seinen eingescannten Arm mit dem ausgestreckten Zeigefinger und der bekannten Lücke einfügt, haucht er seiner digitalen Arbeit Leben ein.

Metamorphose

Ein zentrales Thema ist die Metamorphose (Verwandlung), symbolisiert durch die Skulptur ‚Apoll und Daphne‘ aus der Sammlung des Suermondt-Ludwig-Museums. Die emotional aufgeladene Szene aus Ovids Metamorphosen zeigt, wie sich Daphne (griech. „Lorbeer“) in einen Lorbeerbaum verwandelt, um aus den Fängen des verliebten Apoll, der zuvor von Amors Pfeil getroffen wurde, zu entkommen. Diese Dramatik hat die Schüler*innen des College vhs Aachen, die am Entstehungsprozess mitgewirkt haben, tief bewegt. Ihren Input setzt Berresheim hier digital um und inszeniert die Skulptur neu, sowohl in der Wandarbeit als auch in einer Augmented Reality (über QR-Code am Sockel der Skulptur). In den Rahmenbedingungen des Wandbildes führt Berresheim die Regie, bestimmt und verändert nach seinen Vorstellungen.

Vanitas

Tim Berresheims Liebe zu seinem Wohnort Aachen motivierte ihn dazu, Plätze, Lokalitäten und Straßen zu vermessen, die ihm wichtig sind und teilweise nicht mehr existieren.

Seine Lieblingskneipe, die ‚Steffens-Schänke‘, ist beispielsweise solch ein Ort, der die Folgen der Corona-Pandemie nicht überstanden hat. Berresheim hat u.a. die Schänke am Steffensplatz und auch seinen eigenen Körper eingescannt, so dass er sich virtuell dort „einräumen“ kann. Auch der Büchel oder die Antoniusstraße, die während der Pandemie den Betrieb einstellen musste, sind Teil seiner Datensammlungen.

Vanitas (Vergänglichkeit) zeigt sich in dieser Zerbrechlichkeit des Analogen im Vergleich zum Digitalen und macht die Schnittstellen zwischen den Welten sichtbar.

Das Projekt „Aus alter Wurzel neue Kraft“

Seit Ende 2023 engagiert sich der Künstler Tim Berresheim im Auftrag der Stadt Aachen in dem großangelegten digitalen Kunst- und Teilhabeprojekt „Aus alter Wurzel neue Kraft", an dem Aachener Schüler*innen unterschiedlicher Altersklassen und Schulformen maßgeblich beteiligt wurden. Der Titel geht auf den Leitspruch christlicher Schützenbruderschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück.

Dieses im besten Wortsinne partizipative Projekt basiert auf einem von den Teilnehmer*innen unter Anleitung des Künstlers durchlaufenen Aneignungsprozess, der aus zahlreichen Workshops in der Grundschule Am Fischmarkt, dem Kaiser-Karls-Gymnasium und dem College vhs Aachen sowie an ausgewählten Orten in der Stadt bestand. Immer wieder wurden Arbeitsergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert.

Schon in der Anfangsphase hat das Suermondt-Ludwig-Museum den Dialog mit dem Künstler gesucht, um den Teilnehmer*innen seine Sammlung zu (er)öffnen – ein weitere Baustein der gegenwärtig stark an kultureller Teilhabe orientierten Museumsarbeit. Nach umfänglicher Einführung durch hauseigene Kurator*innen haben sich die Partizipant*innen des College vhs Aachen in Workshops mit Exponaten der Sammlung beschäftigt und dann die großformatige mythologische Skulptur ‚Apoll und Daphne‘ des italienischen Bildhauers Filippo Parodi (1630-1702) als Ausgangspunkt ihrer kreativen Experimente und Denkprozesse gewählt. Das Projekt des College vhs wird parallel zur Berresheim-Ausstellung vorgestellt, auch durch eine vom Künstler konzipierte App.

Projektleitung:

Myriam Kroll

 

Der Künstler

Tim Berresheim, *1975, ist ein international agierender, multimedial bildender Künstler und Pionier der computerunterstützten Kunst. Er erzeugt komplexe Bildwelten, die sich aus dem Spannungsfeld von Computertechnologie und der Befragung der eigenen Wirklichkeit entwickeln. Seine Arbeiten umfassen 2D- und

3D-Drucke, Fotoabzüge und Plastiken, Augmented Reality-Skulpturen und -Videos sowie verschiedene Kunst-am-Bau-Projekte. Bestrebt, in seinen Werken die Komplexität unserer Zeit wiederzugeben und Betrachtende vor neue Aufgaben in der Bildrezeption zu stellen, kreiert Berresheim intensive Erlebniswelten an der Schnittstelle Kunst/Forschung/Technologie.

Berresheim studierte bei Albert Oehlen an der Kunstakademie Düsseldorf und bei Johannes Brus an der HBK Braunschweig. 

Ein orange-rotes Gemälde mit bunten Menschenfiguren, dich sich teilweise umarmen und in einer Bar sind.
Tim Berresheim, Ich. Heute. Steffens Schänke. Später Abends, 2024, Harz und Pigment, 157 x 210 cm, Auflage unique.
Ein künstlerischer, bunter, plastischer Gebäudekomplex als Skulptur. Mit mehreren Häusern, Bäumen und einem Säulenhaus.
Tim Berresheim, Luogo o spazio? Bad Aachen, 2024, Harz und Pigmente auf Papier, 145 x 210 cm, Auflage Unique
Eine junge Frau scannt mit einem technischen Gerät eine graue Skultptur im Museum.
Eine Schülerin des College vhs Aachen beim Einscannen der Skulptur „Apoll und Daphne“ im Suermondt-Ludwig-Museum am 17.09.2024.
Ein Mann mit Kappe und Brille schaut eine bronzen-graue Skulptur im Museum an.
Tim Berresheim im Suermondt-Ludwig-Museum.
Ein Kunstwerk mit stehenden Papierfiguren in der Mitte, einem gelben Mond und weiteren abstrakten Konstruktionen vor einem blau-grauen Hintergrund.
Tim Berresheim, Ort. Zeit. Kontinuum, 2025, immersive Wandarbeit, 2550 cm x 530 cm (Ausschnitt).


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