Liebe Freunde und Freundinnen Europas,
mit großer Freude begrüße ich Sie im Krönungssaal unseres Rathauses und heiße Sie herzlich willkommen zur Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen 2025 an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen.
Ich begrüße herzlich Eure Majestät König Felipe VI. von Spanien, Eure Exzellenz Frau Kommissionspräsidentin von der Leyen, Herrn Bundeskanzler Merz, die Exzellenzen: Herrn Ministerpräsident Edi Rama aus Albanien, Herrn Ministerpräsident Robert Abela aus Malta, Herrn Ministerpräsident Luc Frieden aus Luxemburg und den stellvertretenden Ministerpräsidenten des Kosovo, Herrn Besnik Bislimi,
Herr Premierminister Keir Starmer aus dem Vereinigten Königreich kann aufgrund des schweren Anschlags in Liverpool leider nicht persönlich teilnehmen,
sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Verheyen, sehr geehrter Herr Kommissar Kubelius, sehr geehrte Frau Kommissarin Albuquerque, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Wüst – gemeinsam mit vielen Mitgliedern Ihres Kabinetts,
darunter unsere stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur, und die früheren Ministerpräsidenten unseres Landes Jürgen Rüttgers und Armin Laschet, sehr geehrter Herr Bundesminister Wildberger, sehr geehrter Herr Staatsminister Krichbaum,
verehrte Mitglieder des diplomatischen Korps: Wir haben die Freude, ihre Exzellenzen die Botschafterinnen und Botschafter aus Zypern, Rumänien, dem Kosovo, Slowenien, Frankreich, Schweden, aus Schweiz, Spanien, Irland, Luxemburg, Großbritannien, Belgien, Griechenland, Malta, Österreich und Portugal zu begrüßen,
herzlich willkommen die Trägerinnen und Träger des Karlspreises aus früheren Jahren:
Herrn Jean-Claude Juncker, Herrn Jean-Claude Trichet, Frau Dalia Grybauskaité, Herrn Martin Schulz, Frau Svetlana Tichanowskaja, Frau Veronika Tsepkalo und – stellvertretend für ihre Schwester – Frau Tatsiana Khomich, Herrn Rabbiner Pinchas Goldschmidt,
sehr geehrter Herr Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Herr Dr. Schuster, seine Exzellenz Herr Bischof Dieser, Herr Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament Manfred Weber, meine Damen und Herren Abgeordnete aus dem Europäischen Parlament, dem Deutschen Bundestag und dem Landtag von Nordrhein-Westfalen,
meine Damen und Herren aus dem Rat der Stadt Aachen, und sehr geehrte Mitglieder des Karlspreis-Direktoriums und der Karlspreisstiftung.
Besonders begrüßen möchte ich das Stifter-Ehepaar Schäfer-Schulz, das der Karlspreis-Stiftung durch seine großzügige Unterstützung künftig ermöglicht, Projekte im Sinne der ausgezeichneten Preisträger*innen nachhaltig zu fördern.
Nicht zu vergessen die Vertreterinnen und Vertreter der Medien, sehr geehrte Gäste aus dem In- und Ausland, liebe Aachenerinnen und Aachener, meine Damen und Herren.
Der diesjährige Karlspreis steht in einem ganz besonderen historischen Kontext. 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges feiert die Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen bereits ihr 75-jähriges Bestehen. Gegründet in dem Bestreben, “nicht nur auf das ungelöste Problem der europäischen Einigung immer wieder mahnend hinzuweisen, sondern zu versuchen, auch Wege zur praktischen Lösung dieser drängenden Frage aufzuzeigen”, wie es in ihrer Proklamation von 1949 heißt. Der Karlspreis ist der älteste und bekannteste Preis, mit dem besonders Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die sich um Europa und die europäische Einigung in hohem Maße verdient gemacht haben.
Dass ihr “Beitrag zur abendländischen Einigung” eine solch beeindruckende Entwicklung nehmen würde, konnten die Gründer des Karlspreises damals nicht absehen. Schließlich hatten sie beide Weltkriege erlebt, das Erstarken des Nationalsozialismus ebenso wie Hass und Verfolgung – und waren dennoch geleitet von dem tiefen Glauben daran, dass nur mit der Einigung Europas die Sicherung der Demokratie gelingen und eine neuerliche militärische Eskalation verhindert werden könnte.
Dabei lag das ganze Land noch in Trümmern, die Verhältnisse waren kurz nach der Gründung der BRD äußerst fragil und die Rolle, die Kriegsverlierer Deutschland in Zukunft auf der politischen Weltkarte einnehmen sollte bzw. durfte, war noch nicht abschließend geklärt. Eine Einheit Europas oder gar der Gedanke an eine Europäische Union lag in weiter Ferne.
Als Aachen im Oktober 1944 als erste deutsche Großstadt von den Alliierten eingenommen und damit befreit wurde, sollte es noch über ein halbes Jahr dauern, bis der Krieg auch im Rest Deutschlands endete. Während dort weiter das NS-Regime herrschte, wurde Aachen unter Amerikanische Militärregierung gestellt – und von dieser bald zu einem Demokratielabor gemacht, zu einem Testgebiet für die künftige alliierte Militär- und Besatzungspolitik im befreiten Westdeutschland. So kämpfte unsere Stadt schon wieder und gewissermaßen auch stellvertretend um ihr Lebensrecht in einer neu zu ordnenden Welt.
Dabei waren es Menschen aus der Zivilgesellschaft, Menschen wie die Gründerväter, deren feste Überzeugung es war, dass dieser Kampf nur einer für Frieden, Demokratie und Einheit sein kann – und damit haben sie schon fünf Jahre vor ihrer Gründung einen erheblichen Beitrag zur Entstehung der Bundesrepublik Deutschland geleistet, wie wir sie in ihrer heutigen Form kennen.
Aus einer visionären – und in Anbetracht der Verhältnisse im Nachkriegs-Deutschland durchaus außergewöhnlichen – Idee ist der Karlspreis im Lauf der Zeit selbst zu einer international anerkannten Institution geworden, die für den europäischen Gedanken steht. Viele der Preisträgerinnen und Preisträger haben das Weltgeschehen der vergangenen 75 Jahre maßgeblich beeinflusst. Oder sie tun dies, wie unsere heutige Preisträgerin, nach wie vor.
Wir können also sagen: Der Plan der Gründerväter ist vollends aufgegangen. Aber dass Europa heute in der ganzen Welt als gemeinsame Einheit wahrgenommen wird, war und ist nur möglich, weil sich Bürgerinnen und Bürger nach wie vor und überall auf unserem Kontinent engagieren, einmischen und Verantwortung übernehmen.
Wie wichtig solche Kräfte immer noch sind, wird bei einem Blick auf die aktuelle Weltlage leider nur allzu deutlich. Denn bei aller Freude über die Entwicklung hin zu einem geeinten Europa ist unser Lebensmodell von Freiheit, Frieden und Demokratie, wie schon so oft in der Geschichte, auch heute wieder enormen Bedrohungen ausgesetzt:
Wenn in Europa Krieg geführt wird, wenn die Aufnahme von Geflüchteten trotz einer gelungenen europäischen Vereinbarung zum innenpolitischen Thema Nummer eins wird, wenn Rechtsextremisten vermehrt Zulauf erhalten und völkische Parolen wieder hoffähig (gemacht) werden, wenn also unsere gemeinsamen Werte nicht nur weltpolitisch in Frage gestellt werden, sondern auch immer wieder nationale Interessen das Friedensprojekt gefährden, das die EU schon immer war und nach wie vor ist, dann sollten wir alle wachsam sein, dass sich Geschichte nicht doch noch einmal wiederholt. Wachsam sein müssen gerade wir Deutsche gegenüber allen Bestrebungen, den Antisemitismus wieder aufflammen zu lassen. Eine enge Beziehung zu Israel gehört zur Deutschen Staatsräson. Dennoch dürfen wir nicht schweigen, wenn humanitäre Hilfe verhindert wird.
Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass wir uns und zukünftigen Generationen immer wieder aufs Neue bewusst machen, wie wichtig und wertvoll der Zusammenhalt in Europa und in der Welt ist. Dass es sich lohnt, für die über Jahrzehnte erarbeiteten gemeinsamen Werte einzustehen. Dabei können wir uns an den Initiatoren des Karlspreises orientieren, indem wir ihr Erbe verteidigen, und sollten – wie sie – mutig sein weiterzudenken.
Liebe Ursula von der Leyen,
wir alle wissen, dass Sie mutig sind, dass Sie weiterdenken. Sie sind, wie ich aus der Begründung des Direktoriums zitieren darf, “die europäische Führungspersönlichkeit, die starke Stimme Europas in der Welt, die in einer Zeit epochaler Herausforderungen die Interessen Europas und seiner Freunde kraftvoll wahrnimmt.” Und wir sind überzeugt davon, dass Sie “auch die Führungskraft sind, die (...) in der Lage ist, die bestehenden und künftigen Aufgaben zu meistern.”
Als Präsidentin der Europäischen Kommission vom ersten Tag an mit den größten Herausforderungen konfrontiert, denen sich unsere Gemeinschaft stellen muss, haben Sie für Europa visionär, mutig und handlungsstark den europäischen Green Deal angestoßen und uns durch eine globale Pandemie geführt.
Sie haben seit Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine für einen geschlossenen Verteidigungswillen aller Mitgliedsstaaten gegen Russland gesorgt und setzen sich dafür mit aller Kraft und Überzeugung bis heute jeden Tag ein.
Obwohl die auf nationale Einzelinteressen fokussierten Kräfte auch bei der Europa-Wahl im vergangenen Jahr deutliche Gewinne verzeichnen konnten, haben Sie es mit Ihrer besonnenen und verbindlichen Art geschafft, Brücken zu bauen, die demokratischen Kräfte zu bündeln und hinter sich zu vereinen. Ihr Ausspruch “Die Mitte hält” ist aber nicht nur eine bloße Feststellung und eine Bestätigung Ihrer Arbeit. Es ist auch Ihr Verdienst.
Die Europäische Union steht für ein Wertefundament aus Freiheit, Frieden und Demokratie. Sie steht für Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit. Und in Ursula von der Leyen hat sie eine herausragende Führungspersönlichkeit, die für dieselben Eigenschaften steht – und unsere Staatengemeinschaft “mit Entschlossenheit und Weitsicht durch eine Zeit tiefgreifender Transformationen leitet”, wie es weiter in der Begründung heißt.
Auch dank Ihnen kann sich die Welt nach wie vor auf Europa verlassen, liebe Ursula von der Leyen. Doch das Direktorium will Ihre Auszeichnung mit dem Karlspreis 2025 nicht nur als Anerkennung Ihrer bisher geleisteten Verdienste um Europa verstanden wissen.
Die Auszeichnung soll – ganz in der Tradition der Gründerväter – ausdrücklich “zur Ermutigung gegenüber den anstehenden Aufgaben” gelten. Wie groß diese Herausforderungen sein werden, können wir nur ahnen – aber sie werden ganz sicher den Mut erfordern, ambitioniert voranzugehen, den europäischen Geist gegen alle Widerstände zu verteidigen – und weiterzudenken.
Dabei wünsche ich Ihnen viel Kraft, Zuversicht und Geschick – und versichere Ihnen hiermit: Wir stehen an Ihrer Seite, liebe Ursula von der Leyen.
Vielen Dank