Warum Gesellschaftsspiele?
Viele denken bei dem Begriff Gesellschaftsspiel automatisch an Monopoly oder Cluedo, dabei hat sich die Welt der Brettspiele in den letzten drei Jahrzehnten dramatisch geändert. Auf der jährlich stattfindenden Messe „Spiel“ in Essen stellen 620 Verlage aus und präsentieren in etwa 1200 neue Spiele. Der Markt für Brettspiele ist international und umfasst im Jahr 2022 voraussichtlich ein Handelsvolumen von 2,80 Mrd. Euro1. Es gibt Spiele zu eigentlich allen Themen, unzählige Mechanismen und Variationen. Man kann alleine spielen, in kleiner Runde oder mit 30 Personen. Und wenn Spiele so populär sind, liegt es nahe, sich dieses Thema einmal aus medienpädagogischer Sicht anzunehmen.
Gesellschaftsspiele sind also Medien?
Die Behauptung kann durchaus stehen bleiben: Spiele sind Medien. Geht man ganz grundlegend davon aus, dass Medien der Kommunikation dienen, umfasst das zwar noch nicht alle Aspekte dieses Begriffes, stellt aber einen ersten Ansatzpunkt dar. Denn wenn wir miteinander kommunizieren, so richten wir eine Mitteilung von uns an andere. Es geht dabei gar nicht um die reine Vermittlung von Informationen, in der Regel möchte wir ja etwas mit dieser Kommunikation erreichen. Also kann man sagen, es steht die Interaktion im Vordergrund. Genau so eine Interaktion passiert in Gesellschaftsspielen. Medien, nach dieser Lesart, funktionieren als Interaktionsverstärker oder -Instrumente.
Welche Interaktion wird denn da verstärkt?
Vordergründig findet hier eine soziale Interaktion statt. So geht es in den meisten Spielen darum, die meisten Punkte zu erhalten oder als erster ein Ziel zu erreichen und zwar indem man miteinander interagiert. Um das Spielziel zu erreichen, braucht so ein Spiel eine gute Mechanik. Und hier wird es medienpädagogische interessant, denn als Mechanik lässt sich ja auch eine Gruppenarbeitsphase bezeichnen oder ganz allgemein ausgedrückt ein Arbeitsblatt. Es ist bereits etabliert, dass man bspw. Informationen nicht nur durch Lesen aufnehmen kann, sondern auch durch das Anschauen eines Videos. Bei einem Spiel ändert sich das auf eine bestimmte Weise.
Was genau macht den Unterschied zwischen Spiel und anderen Methoden aus?
Ein Spiel fragt scheinbar nicht danach, einen bestimmten Wissensbestand aufzubauen. Man mag zwar lernen, wann bestimmte Ereignisse passiert sind, wenn man bspw. ein historisch fokussiertes Spiel spielt. Aber in erster Linie lernt man, mit einem System, das aus festen Regeln, Bestandteilen, Mitteln etc. besteht, umzugehen. Man erreicht also keinen neuen Wissensbestand, sondern erlernt, übt und trainiert bestimmte Kompetenzen. Und wer hier hellhörig wird, hat die Kernlehrpläne in NRW aufmerksam genug gelesen, um zu wissen, dass das Erreichen von Kompetenzen der wesentliche Bestandteil der nordrhein-westfälischen Bildungslandschaft ist.
Welche Spiele gibt es dafür?
Bevor näher auf die möglichen Spiele eingegangen wird, sei ein kurzer Kommentar gestattet. An dieser Stelle sollen drei Spiele vorgestellt werden, die in erster Linie zur Unterhaltung produziert wurden, aber dennoch einen pädagogischen Mehrwert besitzen. Der Fokus liegt also nicht auf Spielen, die in erster Linie mit einem pädagogischen oder didaktischen Ziel entwickelt wurden. Die Spiele wären:
Foto: David Falke
Lost Cities (1999) - Mathe
Dr. Reiner Knizia hat dieses Spiel mit wenigen Bestandteilen und Regeln entwickelt. Hier müssen die Spieler*innen genau zwei Sachen machen: eine Karte ablegen und danach eine nehmen. Was zunächst banal klingt, wird dadurch spannend, dass man Punkte sammelt, indem man die Karten an einer der farblich passenden „Expedition“ anlegt. Von jeder Expedition werden am Ende automatisch 20 Punkte abgezogen. Man muss also Karten mit einem Wert von mehr als 20 Punkten anlegen, damit man überhaupt Punkte bekommt.
Das führt dazu, dass man doppelt und dreifach überlegt, welche Karte man wann wo ablegt. Das Spiel ist deterministisch. Die Menge an Karten ist festgelegt, das Spiel endet, wenn der Nachziehstapel leer ist. Durch diesen Determinismus kann man ungefähr abschätzen, welche Karten noch im Spiel verbleiben (sofern der*die Mitspieler*in die dringend gesuchte Karte nicht noch auf der Hand hat).
Mit einer Altersempfehlung von 10 Jahren lernen Jugendliche Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen. Die stochastischen Grundprinzipien werden spielerisch erlebbar gemacht. Das führt dazu, dass Verteilungen von Möglichkeiten nicht länger abstrakt sind, sondern Sieg und Niederlage entscheiden können. Das kann sehr motivierend sein und bringt ein inhärentes Verständnis von Mathematik viel näher als so manche Textaufgabe
Foto: David Falke
So Kleever (2022) - Deutsch
So Kleever hat eine einfache Aufgabe. Zu vier Begriffskarten müssen Hinweise formuliert werden. Die Mitspieler*innen haben nachher die Aufgabe, die Begriffskarten, nachdem sie von dem Kleeblatt entfernt wurden, wieder richtig anzuordnen. Was das ganze so schwierig macht, ist der Umstand, dass auf den Begriffskarten auf allen vier Seiten jeweils ein Begriff steht, der Hinweis zwei Begriffe erklären muss und eine fünfte Karte unbekannterweise dazu kommt.
Als Hinweisgeber*in steht man daher vor der scheinbar unlösbaren Aufgabe, einen guten Hinweis zu finden für bspw. die beiden Begriffe „Kachel“ und „Kugel“ – was würden Sie wählen? In einem anderen Beispiel waren die Begriffe „Kuss“ und „Detektiv“, da bietet sich „Film Noir“ als Hinweis an – aber verstehen Ihre Mitspieler*innen dieses Hinweis? Und was passiert, wenn Sie für die Begriffe „Stall“ und „Illusion“ den Hinweise „Einhorn“ gefunden haben und auf der fünften Karte das Wort „Regenbogen“ auftaucht.
Anders als die vielen anderen Spiele, die mit Wortassoziationen arbeiten und auch sehr gut für den Einsatz in einer Schule geeignet sind, bietet So Kleever die einmalige Chance, eine Geschichte aus drei Wörtern zu erzählen. Denn oft genug sind die Begriffe derart chaotisch und beliebig, dass man zunächst meint, niemals einen guten Hinweis finden zu können. Und doch findet man sie – indem man aus drei Begriffen Kohärenz und so eine Art semantischer Isotopie erstellt.
Foto: David Falke
Robo Rally (2016, Neuauflage) – Programmierung
Bei Robo Rally müssen drei bis sechs Spieler*innen einen Roboter programmieren mit dem Ziel als erstes durch eine Fabrik zu fahren. Dafür zieht man Karten, wählt ein paar davon aus und programmiert damit, was der eigene Roboter anschließend macht. Die Züge werden simultan ausgeführt, man muss also vorher gut überlegen, was man vorhat. Das Problem dabei ist die Fabrik, in der Förderbänder stehen, Flammenwerfer, Gruben, etc. Und es kommt auch vor, dass das eigene Kartendeck Spam oder Trojaner erhält.
Was anfangs nach einem banalen Vorhaben klingt, kann schnell in pures Chaos ausarten. Man muss also nicht nur gut überlegt Karten auswählen, man muss zudem die Absichten der anderen berücksichtigen, auf die Energie achten, auf Beschädigungen reagieren…
Bei diesem Spiel lohnt es sich mal den pädagogischen Zirkel der pädagogisch sinnvollen Produkte zu verlassen. Bei Spielen, wenn sie medienpädagogisch funktionieren sollen, sollte das Spiel und seine Mechanik immer im Vordergrund stehen. Die Intrinsik gelingt eben, wenn der zu erlernende Gegenstand an sich schon gefällig ist.
Beleg
1: https://de.statista.com/outlook/dmo/app/spiele/brettspiele/weltweit
Ansprechpartner
David Falke
Medienpädagoge
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