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Walter-Hasenclever-Literaturpreis 2010: Ralf Rothmann



 

Ralf Rothmann (c) Franka Bruns / Suhrkamp Verlag

Der in Berlin lebende Schriftsteller Ralf Rothmann erhält 2010 den Walter-Hasenclever-Literaturpreis der Stadt Aachen. Der Preis wurde am 31. Oktober im Ludwig Forum für Internationale Kunst verliehen. Bereits am Vortag wurde in Aachen eine Lesung mit Ralf Rothmann veranstaltet.

Rothmann zählt zu den renommiertesten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart und ist vor allem als Erzähler hervorgetreten. Sein Werk umfasst daneben auch Lyrik und Texte fürs Theater. Rothmann wurde 1953 in Schleswig geboren und wuchs im Ruhrgebiet in der Nähe von Oberhausen auf. Nach der Volksschule und einem kurzen Besuch der Handelsschule machte er zunächst eine Lehre als Maurer. Anschließend übte er diverse Gelegenheitsjobs aus und arbeitete als Krankenpfleger, Koch, Drucker und Fahrer. Seit 1976 lebt er in Berlin, wo 1984 sein literarisches Debüt, der Gedichtband "Kratzer", erschien. Mit der 1986 erschienenen Erzählung "Auf Messers Schneide" verschob sich der Schwerpunkt seines Schreibens auf die Prosa. 1991 erregte er mit seinem ersten Ruhrpott-Roman Stier große Aufmerksamkeit. Seither hat Rothmann ein halbes Dutzend Romane und zwei weitere Bände mit Erzählungen veröffentlicht.

Von ihren Schauplätzen her konzentrieren sich Rothmanns Werke auf das Ruhrgebiet und auf Berlin. In den Kohlenpott-Romanen ("Wäldernacht" 1994, "Milch und Kohle" 2000, "Junges Licht" 2004) stehen meist jugendliche Helden im Mittelpunkt, die unter kaputten Familien, stumpfsinniger Maloche und kultureller Ödnis leiden. Gegen die Perspektivlosigkeit ihres proletarisch-kleinbürgerlichen Milieus revoltieren sie durch die Flucht in die Rockmusik und die Entdeckung des Kontinents Liebe. In seinen Berlin-Romanen ("Flieh, mein Freund!" 1998, "Hitze" 2003) und dem Schauspiel "Berlin Blues" (1997) zeigt sich Rothmann als ein gnadenlos genauer Diagnostiker der sozialen Folgekosten der Wiedervereinigung an der Nahtstelle von Ost und West. Er zeichnet das Bild eines Berlin von unten, leuchtet in die Arbeits- und Wohnverhältnisse eines neuen Prekariats und notiert in nüchternem Tonfall das Verschwinden der alternativen Kiez-Soziotope in der neoliberalen Nachwendezeit. Dabei ist seine Schilderung des ‚Lebens der Geringsten’ voller Sympathie, aber ohne jede Sentimentalität.

Rothmann verfügt über die Gabe, in spontanen Äußerungen seiner randständigen Figuren Einsichten in strukturelle Änderungen unserer globalisierten Lebens- und Arbeitswelt aufblitzen zu lassen. Sein gesellschaftliche Prozesse durchdringender Blick ist von Erfahrung und Empathie gesättigt und sieht mehr als jede theoretisch angestrengte Analyse. Rothmanns Erzählhaltung wurzelt im Humanen, und aus dieser Herkunft entspringt seine Fähigkeit, lebendige, schräge und absurde Dialoge zu schreiben, wie sie zu unserem Alltag gehören. Hierin mag Rothmanns größte Stärke bestehen: Mit wenigen Strichen vermag er es, eine Figur plastisch vor uns hinzustellen, ein authentisches Individuum, dessen Schicksal sofort unser Interesse erweckt, weil es bei aller Besonderheit zugleich etwas für unsere Zeit und Gesellschaft Symptomatisches verkörpert.

In zahlreichen Erzählungen und den jüngeren Romanen hat Rothmann auf überzeugende Weise auch Binnenansichten anderer sozialer Milieus und selbst ferner Zeiten entworfen. Sein aktuelles Werk "Feuer brennt nicht" fügt dem Sozial- und Liebesdiskurs die Qualität eines Künstlerromans hinzu, der einen neuen Einblick in die Entwicklung des Schriftstellers Ralf Rothmann erlaubt. Was er bisher geliefert hat, ist nichts Geringeres als ein Archiv deutscher Kultur- und Sozialgeschichte von den frühen 60er Jahren bis in die Gegenwart, angelegt unter dem spezifischen Neigungswinkel einer sensiblen und unabhängigen Existenz.

Das Werk von Ralf Rothmann erscheint seit nahezu 25 Jahren im Suhrkamp-Verlag und wurde seit der Jahrtausendwende mit mehreren bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter dem Hermann-Lenz-Preis 2001, dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2004, dem Heinrich-Böll-Preis 2005 und dem Max-Frisch-Preis 2006.
 

Hasenclever-Preisverleihung 2010 (c) Andreas SchmitterHasenclever-Preisverleihung 2010 (c) Andreas SchmitterHasenclever-Preisverleihung 2010 (c) Andreas SchmitterHasenclever-Preisverleihung 2010 (c) Andreas SchmitterHasenclever-Preisverleihung 2010 (c) Andreas SchmitterHasenclever-Preisverleihung 2010 (c) Andreas SchmitterHasenclever-Preisverleihung 2010 (c) Andreas SchmitterHasenclever-Preisverleihung 2010 (c) Andreas Schmitter